Es kommt nichts an

Seit 2006 online: Die Dorf-Website von Friedewalde.

Kreis Minden-Lübbecke/Friedewalde. Dorfhandy – abgelehnt, weil der Verwaltungsangestellte Marvin Rösch vom Dezernat 5 (Städtebauförderung) der Bezirksregierung in Detmold nicht versteht, wofür wir es in Friedewalde brauchen. IKEK – ein Rohrkrepierer. Viele Bürger aus den 29 Ortschaften der Stadt Petershagen haben große Hoffnungen in das sogenannte “Integrierte Kommunale Entwicklungskonzept” für Petershagen gesetzt und ehrenamtlich mitgearbeitet. Rund 40.000 Euro hat ein Planungsbüro dafür bekommen. Der öffentliche Versammlungsraum an der Turnhalle Friedewalde wird aber nicht gefördert. Lediglich das Schützenhaus in Ilse soll renoviert werden. So richtig scheint das Fördergeld in den Dörfern nicht anzukommen. Aber – warum ist das so? Das zeigt sehr deutlich und konkret das Beispiel Mühlenkreis 2.0, aus dem Friedewalde jetzt ausgestiegen ist.


Der Kreis Minden-Lübbecke deckt sich mit Personal ein

Der Kreis Minden-Lübbecke deckt sich bei Förderprojekten gerne mit Personal ein. Im Fall des Förderprogramms “Vital.NRW“, aus dem das Projekt Mühlenkreis 2.0 finanziert wird, wird das offensichtlich. Die Kreis-Tochter “Bündnis ländlicher Raum“, zuständig für die 1,55 Millionen Euro Fördergeld, die bis 2022 ausgegeben sein müssen, stellte als erstes eine neue Regionalmanagerin ein. Pia Steffenhagen-Koch, promovierte Umweltwissenschaftlerin, besetzt die Stelle für fünf Jahre (2017 bis 2022), was dem Kreis Minden-Lübbecke rund 300.000 Euro kostet (finanziert aus dem Fördertopf Vital.NRW).

Das Geld bekommen andere

Die neue Regionalmanagerin leitet auch das Projekt “Mühlenkreis 2.0”. Dabei geht es darum, wie sich die Digitalisierung für die Dörfer im Kreis Minden-Lübbecke nutzen lässt. Das sollte in elf Modelldörfern ausprobiert werden, darunter auch in Friedewalde. Dafür stehen für jedes der Dörfer in etwa 17.500 Euro zur Verfügung – allerdings nur auf dem Papier. “Nein”, lautete die Antwort von Pia Steffenhagen-Koch, ob auch tatsächlich Geld in die Dörfer fließe. Das Geld bekommen andere. Und wer das ist, stellte sich nach und nach heraus.

Bürger schreiben für Bürger funktioniert nicht

Der Vorschlag aus Friedewalde sah vor, die Dörfer zunächst mit WordPress-Internetseiten auszustatten, um als erstes die Dorfkommunikation zu digitalisieren. Die sogenannten “Kümmerer” sollten honoriert werden mit 15 Euro pro Stunde, weil uns die Erfahrung gezeigt hat, dass Aufbau und Pflege von Internetpräsentationen ehrenamtlich kaum zu stemmen sind. Das Konzept “Bürger schreiben für Bürger” hat noch nie funktioniert. Die Kümmerer der elf Dörfer, für Friedewalde sind das Ortsbürgermeister Karl-Christian Ebenau und ich (Jürgen Krüger), sollten WordPress-Schulungen erhalten und sich anschließend selbst organisieren, indem sie sich treffen, sich gegenseitig befruchten und dann ihrerseits Dorfreporter ausbilden. Die Kosten für Webhosting liegen bei rund 10 Euro pro Monat. Und mit Mittwald in Espelkamp haben wir einen der kompetentesten WordPress-Spezialisten Deutschlands vor Ort. So der Plan. Doch es kam anders.


Honorar für Kümmerer gestrichen

Als erstes strich die Bezirksregierung in Detmold den Kümmerern das Honorar. Im Gegenzug brauchten die Dörfer zwar keinen Eigenanteil von rund 3.500 Euro mehr zu bezahlen (die Förderquote bei Vital.NRW wurde von ursprünglich 65 Prozent auf 80 Prozent erhöht). Allerdings hatten die Kümmerer jetzt dafür zu sorgen, ehrenamtliche Arbeitsstunden nachzuweisen. “Als vorteilhaft” bezeichnete Rainer Riemenschneider, angestellter Geschäftsführer des gemeinnützigen Trägervereins Bündnis ländlicher Raum (Vorsitzender ist Landrat Ralf Niermann), die Vorgehensweise bei der Auftaktveranstaltung am 20. Juni 2018 in Espelkamp. Die Frage ist nur, vorteilhaft für wen? Für den Kümmerer sicherlich nicht. Er bekommt jetzt nämlich nicht nur kein Geld, er muss auch noch mit seiner Unterschrift für eine entsprechend hohe ehrenamtliche Arbeitszeit bürgen. Da Friedewalde schon eine funktionierende Website mit einem durch regionale Unternehmen bezahlten Kümmerer hat, kamen aber nur ein paar ehrenamtliche Stunden zusammen. Karl-Christian Ebenau und ich waren nicht bereit, ehrenamtliche Stunden zu “konstruieren”. Vorteilhaft ist die Regelung allerdings sowohl für die Bezirksregierung als auch für das Bündnis ländlicher Raum. Erstens entledigen sie sich einer möglichen arbeitsrechtlichen Verantwortung, auf der anderen Seite brauchen sie nicht hinter dem Eigenanteil der Dörfer herzulaufen. “Mit bezahlten Kümmerern hätten wird das Projekt nicht bewilligt bekommen”, rechtfertigt Pia Steffenhagen-Koch die Entscheidung und schiebt damit den schwarzen Peter der Bezirksregierung Detmold zu.

“Wir müssen doch die Bedarfe feststellen”

Ebenfalls bei der Auftaktveranstaltung präsentierte uns die Projektleiterin einen Fahrplan, der als ersten Schritt eine Umfrage in den Modelldörfern vorsah – zum Entsetzen der Friedewalder. Eine Umfrage machte zum diesem Zeitpunkt überhaupt keinen Sinn. Wenn der leider schon verstorbene Steve Jobs (Apple) Mitte der 2000er Jahre erst eine Umfrage gemacht hätte, ob sich die Weltbevölkerung ein iPhone wünschte, dann hätten wir heute keine Smartphones, weil sich außer Steve Jobs niemand vorstellen konnte, was ein Smartphone ist. Digitale Projekte funktionieren anders: dort lässt man Schiffe zu Wasser und guckt, ob sie schwimmen. “Nein”, lautete abermals die Antwort von Pia Steffenhagen-Koch auf die Frage, ob wir unbedingt eine Umfrage brauchen? Gemacht haben wir sie trotzdem. Unterstützung bekam die Regionalmanagerin wiederum von Rainer Riemenschneider. “Wir müssen doch die Bedarfe feststellen”, flankierte er. Der Auftrag wurde freihändig vergeben an “planinvent“, einem nach eigenen Angaben “Büro für räumliche Planung”. Geschäftsführer Frank Bröckling wird sich sicher über die rund 16.500 Euro freuen, die er für die Durchführung der Umfrage bekommen hat.

Völlig überflüssige Umfrage

Im Grunde hätte es nur eine einzige Frage gegeben: Welche digitalen Dienste wünschen sie sich für ihr Dorf? Da aber eine Umfrage mit nur einer Frage in diesem Fall ziemlich albern gewesen wäre, blähte das Bündnis ländlicher Raum den Fragenkatalog auf. “Wie bewertet ihr Haushalt das derzeitige äußere Erscheinungsbild Ihres Ortes?” oder “Wie oft kaufen Sie pro Woche ein?” sind solche Fragen. In Nammen kam heraus, dass eine funktionierende Nachbarschaft besonders wichtig für das Zusammengehörigkeitsgefühl der Dorfbewohner sei, was die Frage gewesen war. Ganz am Ende der Umfrage kamen dann auch digitale Themen vor: “Wie zufrieden sind Sie mit der verfügbaren Geschwindkeit?, heißt es etwa, und “Welche digitalen Anwendungen werden von Ihnen häufig benutzt?” Die Gretchenfrage “Welche digitalen Dienste wünschen sie sich für ihr Dorf?” war übrigens nicht mit dabei. Die Friedewalder Kümmerer lehnten es ab, ihre Bürgerinnen und Bürger mit dieser völlig überflüssigen Umfrage zu belästigen, lieferten aber stattdessen eine eigene Vorschlagsliste.

“Ich dachte, wir stecken die Köpfe zusammen”

“Ich dachte, wir stecken die Köpfe zusammen und reden darüber, was geht”, sagte Eva Rahe, Kümmerin in Hedem. Daraus wurde nichts, denn durch die Umfrage beschäftigten sich jetzt fast alle mit der Umfrage, nicht aber mit den Dorf-Websites. Wir mussten also abwarten, bis die Ergebnisse auf dem Tisch lagen. Das war am 5. November 2018 soweit. Die Umfrage brachte im Wesentlichen eine Gliederung von Dorf-Internetseiten zutage, die unter anderem die örtlichen Vereine, einen Veranstaltungskalender, eine Dorfchronik sowie aktuelle Meldungen beinhalten sollte. Dieses Ergebnis ist so lächerlich, dass Friedewalde an dieser Stelle schon aus dem Projekt aussteigen wollte. Mittlerweile hatte sich die leicht überfordert wirkende Pia Steffenhagen-Koch mit Heike Dühring verstärkt. Außerdem war deren Chef Rainer Riemenschneider jetzt regelmäßiger bei den Treffen mit dabei. Das Projekt “Mühlenkreis 2.0” wurde nun von drei Leuten geleitet, die offensichtlich nicht ganz so viel Ahnung von digitalen Projekten haben. Und es sollte noch schlimmer kommen.

Warnung vor einer App-Lösung

Es scheint rätselhaft zu sein, wie man aus dieser missratenen Umfrage einen Ausschreibungstext für eine sogenannte “Digitale Plattform” herleiten kann, wobei die Frage (wieder aus Friedewalde), was genau sich hinter dieser “Digitalen Plattform” verberge, unbeantwortet blieb. Marvin Waidmann (CDU), Mitglied im Petershäger Stadtrat, Ortsbürgermeister von Quetzen und Kümmerer, hatte früh davor gewarnt, eine Dorf-App progammieren zu lassen. “Eine App muss man herunterladen und auf dem Smartphone installieren. Das könnte dem ein oder anderen Dorfbewohner möglicherweise zu aufwändig sein. Außerdem gibt es dann einen geschlossenen Nutzerkreis”, so die Argumente des IT-Spezialisten, der selber für einen App-Entwickler arbeitet und seine geschätzte Fachkompetzenz gerne zur Verfügung stellte. Quetzen hatte sich übrigens auch nicht an der Umfrage beteiligt. Quasi wie aus dem Nichts gab es dann plötzlich einen Ausschreibungstext. Nach eigenen Angaben angefertigt von Pia Steffenhagen-Koch, allerdings mit aus Lemgo und Höxter übernommenen Textpassagen. Die Kreise Lemgo und Höxter sind bezüglich der Digitalisierung ihrer Dörfer etwas weiter als Minden-Lübbecke und verfügen über Erfahrungen mit dem Fraunhofer Institut. Vertreter aus Lemgo und Höxter sowie vom Fraunhofer-Institut waren auch bei der Auftaktveranstaltung am 20. Juni 2018 in Espelkamp als Vortragende eingeladen.

Mehr als 50.000 Euro für Digitale Plattform

Von den zehn angeschriebenen Unternehmen (freihändige Vergabe) machten fünf bei der Ausschreibung mit, drei kamen in die engere Wahl. Den Zuschlag erhielt das Fraunhofer Institut. Für mehr als 50.000 Euro sollte die gemeinnützige Instution eine Digitale Plattform progammieren. Am 18. März 2019 stellte das Fraunhofer Institut dann seine Ideen vor. Die “Digitale Plattform” entpuppte sich lediglich als Steuerungs-Software für WordPress-Seiten, aufgehübscht mir ein paar selbst programmierten Plugins. Im Köcher hatten Steffen Hess und Annika Meier aus Kaiserslautern aber noch eine an die WordPress-Seiten angedockte Dorf-App, obwohl wir gar keine Dorf-App wollten. Das Angebot enthält WordPress-Schulungen für die Kümmerer sowie eine Infokampagne. Auf die Dörfer würden nach Ende des Projektes Kosten in Höhe von jährlich 400 Euro zukommen, zuzüglich die Kosten für die Domainregistrierung – mehr als dreimal so viel wie eine von einem professionellen Anbieter gehostete WordPress-Installation. Die Kümmerer sollten sich nun ihre Domains besorgen. Nach der technischen Installation und Integration der Dorf-Websites durch das Fraunhofer Institut und den Schulungen sollen die Kümmerer dann die digitalen Inhalte liefern (Texte, Fotos, Audios, Videos).

Friedewalde steigt aus

Digitale Inhalte zu produzieren, aufzubereiten und zu publizieren ist nicht ganz einfach und oft sehr aufwändig, insbesondere für Laien. Die Kümmerer stehen nun wieder am Anfang, haben immer noch keine Dorf-Websites und bezahlt werden sie für enormen Aufwand, der nun auf sie zukommt, auch nicht. Im Gegenteil – sie müssen nach dem Projektende auch noch jährlich 400 Euro auftreiben. Und redaktionelle Schulungen sieht das Angebot des Fraunhofer-Instituts gar nicht erst vor. An diesem Punkt waren sich Karl-Christian Ebenau und ich einig, das Projekt Mühlenkreis 2.0 zu verlassen.

3 thoughts on “Es kommt nichts an

  1. “Chancen vertan – Schade”
    An dieser Stelle sei der Hinweis erlaubt, dass sehr wohl am 15.06.2017 ein IKEK-Förderantrag über 290.000 € für einen Anbau an der Turnhalle gestellt wurde. Durch die überraschende Sanierung der Turnhalle kam es aber nicht zur Umsetzung. Außerdem überwog mehr und mehr die Skepsis bei den einstigen Unterstützern.
    Davon abgesehen ist es uns gelungen Gelder für ein Dorfmikrofon und eine Boulebahn einzuwerben. Drei von vier Heimatschecks über 2.000 € waren für Friedewalde erfolgreich und die Karte am Denkmal wird aus Mitteln der kleinen Dorferneuerung noch in diesem Jahr saniert. Nur das “Dorfhandy” konnten wir nicht umsetzen.
    Das wir uns aus Vital NRW ausgeklinkt haben hat Jürgen Krüger zutreffend geschildert. Von Beginn an waren wir mit friedewalde.de bereits dort angekommen, wo andere Teilnehmer in drei Jahren vielleicht einmal landen wollen.

  2. Chancen vertan – Schade.
    Der Gemeinschaftsraum nebst Dorfbüro hätte gute Chancen gehabt gefördert zu werden. Allein: Es wurde von den Dorfältesten nie ein Antrag gestellt.
    Die “Dorfapp” wird in den Orten, die sie eingerichtet haben, sehr gern genutzt. Das wäre Terminbörse und digitales Gesprächsforum “über den Gartenzaun” – sozusagen von der Kloppenburg bis zum Süntkebrink. Schade, dass ihr da nicht mehr für die Ortschaft dabei seid. Trotzdem frohe Ostern, wenn auch nicht immer die gewünschten Eier im Nest sind.

  3. Ich denke der Ausstieg war die richtige Entscheidung.
    Danke für eure Arbeit!

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