Eine köstliche Frucht

Süß-säuerlich und sehr saftig: Der Apfel Prinz Albrecht von Preußen, angebissen von mir. Foto: Jürgen Krüger

Süß-säuerlich und sehr saftig: Der original von mir am 19. August 2016 angebissene Apfel Prinz Albrecht von Preußen. Foto: Jürgen Krüger

Friedewalde. Seit November 2011 existiert bei uns an der Lavelsloher Straße eine Streuobstwiese. Die 22 verschiedenen, hochstämmigen Obstbäume – seinerzeit gepflanzt von Grundschülern aus Warmsen und Friedewalde – wachsen prächtig, werden immer größer, und der ein oder andere Baum trägt erste, kleine Früchte. Bei einem Gang am 19. August 2016 durch die Streuobstwiese sah ich einen Apfel im Gras liegen. Ich war mir nicht sicher, ob er schon genießbar sein würde, habe aber spontan hineingebissen. Eine köstliche Frucht, saftig, süß-säuerlich –  ein sogenannter Albrechtsapfel (korrekter Name: Prinz Albrecht von Preußen). Dieses Erlebnis brachte mich auf die Idee, hier noch einmal die Geschichte von damals zu veröffentlichen, samt 155 Fotos.

Originaltext vom 13. November 2011
Link zu den Fotos

Petershagen-Friedewalde. Wer die Lavelsloher Straße von Friedewalde aus nach Lavelsloh fährt, sieht gut einen Kilometer nach dem Ortsausgangsschild auf der linken Seite eine kleine Anpflanzung. Es handelt sich dabei um eine Streuobstwiese mit 22 Bäumen. Das Gelände, ein ehemaliger Wiesen-Acker, gehört Heike und Jürgen Krüger. Und die hatten damit ursprünglich etwas ganz anderes vor.

„Wir wollten eigentlich unseren kleinen Wald verlängern“, sagt Jürgen Krüger. Doch dann hielt eines Tages Sascha Traue mit dem Auto an, und über den Gartenzaun hinweg wurden sich beide einig, eine Streuobstwiese anzupflanzen. Sascha Traue ist gelernter Landschaftsgärtner, ausgebildeter Jäger und freiberuflicher Waldlehrer. Die Natur hat dem 38-Jährigen immer schon am Herzen gelegen, und Streuobstwiesen sind heute eine Seltenheit. „Früher hatte jeder Landwirt einen Obstbaumgarten. Das gibt es nicht mehr“, sagt Traue. Ein Grund dürfte der Emser Erlass aus dem Jahre 1953 sein, in dem das Bundesernährungsministerium verkündete „für Hoch- und Halbstämme wird kein Platz mehr sein“. Der Trend zum Plantagenbau setzte sich in Europa durch. Dabei bieten die hochstämmigen Obstbäume mit ihren robusten, alten Sorten vielen Lebewesen ein zu Hause: Insekten, Spinnentiere, Vögel, Säugetiere, Reptilien und Amphibien fühlen sich in den Bäumen und drum herum pudelwohl. Und in einen frischen, unbehandelten Apfel zu beißen, ist ebenfalls ein Genuss. Die Honigbiene spielt für die Bestäubung der Obstbäume die herausragende Rolle. Sehr zur Freude von Kerstin Huck, die in der Nähe ein Bienenvolk betreut und erklärt, dass ihre Bienen im Sommer verhungern würden, wenn sie nicht Zuckerwasser zufütterte.

Nachdem Jürgen Krüger und Sascha Traue den Beschluss gefasst hatten, eine Streuobstwiese anzulegen, ging alles ziemlich schnell. Sascha Traues Vater Willi, ebenfalls Jäger und Naturschützer mit Bundesverdienstkreuz, stellte den Kontakt zur unteren Landschaftsbehörde des Kreises Minden-Lübbecke her. Dirk Zapke vom Umweltamt sah sich die geplante Fläche an, stimmte zu und machte einen Pflanzplan. Drei Kirschen-, vier Zwetschken-, drei Birnen – und zwölf Apfelbäume sollten es sein, und alles unterschiedliche Sorten. Als Beispiel soll der Westfälische Gülderling, eine uralte regionale Apfelsorte, dienen. Bezahlt wurden die mehr als zwei Meter hohen Obstbäume aus einem Fonds für Ausgleichsflächen. Investitionssumme: ca. 650 Euro. Unternehmen, die zum Beispiel große Lagerhallen errichten, müssen als Ausgleich eine andere Fläche aufforsten. Wenn ihnen eine solche Fläche fehlt, dann zahlen sie in den Fond ein, und der Mühlenkreis verteilt die Gelder an entsprechende Projekte.

Die 22 Obstbäume wollten Jürgen Krüger und Sascha Traue nicht alleine in die Erde setzen, sondern gemeinsam mit Kindern. Als Waldlehrer verfügt Traue über die Kompetenz, Schulklassen die Natur näher zu bringen. Und dazu gehört auch das Pflanzen von Bäumen. Die Grundschulen Friedewalde und Warmsen fanden die Idee prima, und so machten sich an einem Mittwochmorgen sechzig Viertklässler zunächst auf den Weg nach Oppenwehe, um sich in der Baumschule von Martin Bierenriede erklären zu lassen, wie aus einem Apfelkern ein veredelter Obstbaum von rund zwei Metern Höhe wird. „Das dauert vier Jahre“, erklärte der 44-jährige Gärtnermeister den verdutzten Schülern. Die Kindern luden die Obstbäume auf einen Anhänger und fuhren mit dem Bus, gesteuert von Jürgen Krüger, der früher einmal Busfahrer war, nach Friedewalde.

Es dauerte rund drei Stunden, dann hatten die Grundschüler die 22 Obstbäume fachgerecht eingesetzt. Angeleitet wurden sie von Sascha Traue, Willi Traue und Förster Carsten Bölts. Günther Heese von der Mosterei Oevermann in Südfelde baute inmitten der Anpflanzung einen Stand auf und beschenkte die jungen Gärtner mit reichlich Saftgetränk. In der Scheune der Krügers und im Schein eines Lagerfeuers durften sich die Grundschüler ein „Ohrenkneifer-Hotel“ basteln und mit nach Hause nehmen. Der außergewöhnliche Schultag ging nach mehr als acht Stunden am späten Nachmittag zu Ende.

Heike und Jürgen Krüger geht es bei der Streuobstwiese nicht um den Ertrag – bis zur ersten Ernte werden wohl auch noch fünf Jahre vergehen – sondern um aktiven Naturschutz. „Wir fahren selber Auto, sind auch schon mit dem Flugzeug geflogen und heizen mit Öl. Die Menschen belasten die Umwelt oft mehr als sie verträgt. Mit der Streuobstwiese möchten wir der Natur etwas Ursprüngliches zurückgeben“, sagt Jürgen Krüger und möchte auch andere Eigentümer von kleinen, ungenutzten Flächen ermutigen, ebenfalls Obstbäume anzupflanzen. Der 47-jährige Friedewalder kann sich aber auch vorstellen, seine neuen Obstbäume zu verpachten. Krüger: „Das Geld würde ich dann spenden, entweder für neue Anpflanzungen oder für einen anderen guten Zweck.“